Psychoanalyse und Film: Kriegerin

Filmveranstaltung am 13.02.2023 um 20.00 Uhr im Kinocenter Gießen (zertifizierte Fortbildung, 4 Punkte)

Dipl.-Psych. Barbara Rosengärtner moderiert

Kriegerin

Deutschland 2011 - FSK 12 Jahre
Regie:            David Wnendt
Darsteller:     Alina Levshin, Jella Haase,
                     Sayed Ahmad, Gerdy Zint  u.v.a.
Länge:          103 Minuten

 

Die 20jährige Titelheldin Marisa (Alina Levshin), vom geliebten Großvater liebevoll „meine Kriegerin“ genannt, ist Alpha-Braut, roh, gewalttätig, eine, die sich gnadenlos abreagiert. Sie hasst alle und alles bis auf Sandro (Gerdy Zint), den brutalen Anführer ihrer rechtsradikalen Clique, und ihren Großvater. Ein Wandel bahnt sich an, als Marisa in ihrer Gewaltbereitschaft zu weit geht  und erste zaghafte Schuldgefühle sich zeigen, was später zu einem radikalen Bruch mit der Clique führt, mit fatalen Folgen.
Ihre Gegenspielerin Svenja (Jella Haase) aus bürgerlichem Milieu macht eine umgekehrte Entwicklung durch. Die 15 jährige Musterschülerin will raus aus der Tyrannei des Stiefvaters und der Affenliebe der Mutter. Sie sucht einen Ort, wo sie anerkannt wird und erträgt geduldig die Demütigungen und Quälerein der Clique, ihr neues Vorbild ist Marisa, deren Zuneigung sie sich schwer erkämpfen muss.
Um nicht Opfer zu werden hilft nur eins: Sei der Täter! Diese Dramaturgie durchzieht den ganzen Film. Wir werden als Zuschauer direkt in das Geschehen hineingezogen, schonungslos und auf Augenhöhe mit den Protagonisten, so dass eine fast dokumentarische Nähe entsteht.
Der im ländlichen Raum im Osten angesiedelte Film zeigt die Perspektivlosigkeit in der Nachwendezeit, das Gefühl mangelnder Anerkennung, den Bedeutungsverlust, der nicht nur das individuelle, sondern auch das kollektive Selbstwertgefühl herabgesetzt hat. Sie ist der Nährboden für Ressentiments und Rachephantasien.
Eine rückwärtsgewandte  Ideologie – Marisa wünscht sich ein Kind und eine heile Familie, in der die Mutter für das Kind sorgt und der Vater beschützt – zeigt die tiefe Sehnsucht nach dem, was in ihrem Leben und im Leben der Clique so schmerzhaft gefehlt hat. Die maßlose Enttäuschung und die narzisstische Wut, die in Hass und Gewalt auf alles Fremde umschlagen, was für das eigene Leben als Sündenbock ausgemacht wird, stehen in krassem Gegensatz zur idyllischen Wunschphantasie.
Der Film ist hochaktuell. Längst haben in ganz Deutschland fremdenfeindliche, gewalttätige Angriffe mit zahlreichen Mordopfern stattgefunden, und die Ideologie ist bis in die Parteienlandschaft hinein hoffähig geworden.
Alina Levshin (beste Hauptdarstellerin) und David Wnendt (bestes Drehbuch) wurden mit dem deutschen Filmpreis 2012 ausgezeichnet.