Psychoanalyse und Film: Close

Filmveranstaltung am 17.06.2024 um 20.00 Uhr im Kinocenter Gießen (Zertifizierte Fortbildung, 4 Punkte)

Dipl. Psych. Barbara Rosengärtner moderiert

Close

Belgien, Niederlande, Frankreich 2022 FSK 12

Regie:       Lukas Dhont
Drehbuch: Lukas Dhont, Angelo Tijssens
Darsteller: Eden Dambrine (Léo), Gustav De Waele (Rémi) u.v.a.
Länge:      105 Minuten

Lukas Dhont hat mit seinem Erstlingswerk Girl 2018 einen überaus erfolgreichen Film über ein 15 jähriges Transmädchen, das Ballerina werden will, vorgelegt.

Entsprechend groß war die gespannte Erwartungshaltung in Cannes auf den neuen Film von Dhont.

Mit seiner zweiten Regiearbeit Close zeigt er ein sehr bewegendes, feinfühliges Drama mit zwei hervorragenden jungen Schauspielern, die die Zuschauer von Anfang an in ihren Bann ziehen. Der Film handelt von der innigen Freundschaft zweier 13-jähriger Jungen : Léo und Rémis. Sie teilen alles miteinander, eine unbeschwerte Kindheit, zärtlich, liebevoll und energiegeladen. Sie bewundern einander und schmieden Pläne für die Zukunft. Sie leben in einer idyllischen Umgebung, Leos Eltern bewirtschaften riesige Blumenfelder, die den Lauf der Jahreszeiten, den Wechsel der Farben und der Fülle, Pflanzen, Gedeihen, Aufblühen und Zerstörung zeigen.

So wie die Natur sich wandelt, wandeln sich auch die Gefühle und die Beziehung von Léo und Rémis. Sie scheinen noch keinen Begriff davon zu haben, wer sie sind und wen sie begehren. Die Freundschaft zerbricht, weil die Welt genau das zu erwarten und zu verlangen scheint. Mit Eintritt in eine neue Schule, in der sie in die gleiche Klasse gehen, werden sie scheinbar unbeabsichtigt befragt, „seid ihr zusammen?“ und „für Freunde seid ihr echt krass eng miteinander.....“ Tief irritiert antworten sie, sie seien einfach Freunde, wie Brüder, weiter nichts.

Das einmal Ausgesprochene bewirkt etwas, nistet sich ein, setzt sich fest. Zum ersten Mal sehen sie sich von außen. Die radikale, sich aus dieser Frage und Anspielung ergebende Wendung führt zu Rissen, Lügen und Distanz und dann zu einem dramatischen Ereignis.

Wie geht es weiter? Eine Sprachlosigkeit und Melancholie liegt über den Protagonisten, bis die Schockstarre sich löst und der Prozess der langsamen Heilung auch den Zuschauer erlöst.

Den Fragen nach Rollenbildern, Männlichkeitsentwürfen, wieviel Sensibilität ist erlaubt, wann ist man ein „Weichei“ und schwul, geht Dhont mit höchster unaufdringlicher Genauigkeit nach. Der Film wurde 2023 für den Auslandsoscar nominiert und auf 40 Festivals und in Cannes ausgezeichnet!