Dr. med. Peter Felder moderiert
SAINT OMER
Ein Film von ALICE DIOP
In den Hauptrollen: Kayiye Kagame, Guslagie Malanda
Frankreich 2022 119 min
„... meine Filme entstehen aus einem Gefühl heraus, einer Intuition, die wächst und wächst und zu einer so zwingenden Besessenheit wird, dass der Film geboren wird… Ich denke nicht `Hey das Thema wäre interessant!“
Alice Diop, französische Regisseurin mit senegalesischen Wurzeln, lässt ihrem Unbewussten und später auch dem Unbewussten ihrer Darstellerinnen eindrucksvoll den Raum, den es braucht, um umfassend die Gefühlswelt, die soziale und familiäre Situation, die Tradition, die Magie, den Wahn hinter den Dingen spürbar zu machen.
SAINT OMER wurde bei ihr angestoßen vom unscharfen Bild einer Überwachungskamera in den Nachrichten: eine junge schwarze Frau, die einen Kinderwagen mit einem Mischlingsbaby zum Zug schiebt. Die Frau wird beschuldigt, ihr Kind umgebracht zu haben.
Ohne mit irgendjemandem darüber zu reden taucht Alice Diop immer tiefer in diesen realen Fall ein, reist zum Prozess, will ihn dokumentieren bis zur Urteilsverkündung.
Aber das wäre zu wenig. Ihre eigenen emotionalen Reaktionen treffen sie mit großer Wucht, Erinnerungen an die Frauen ihrer eigenen Familie, v.a. an ihre Mutter werden getriggert, ihr Wissen um die schwarzen Frauen im Senegal und in Frankreich, der Medea Mythos…
Gemeinsam mit Amrita David und Marie NDiaye schreibt sie ein fiktionales Drehbuch, verwirklicht ihren ersten Spielfilm. Das gelingt ihr eindrucksvoll. Es ist schier unmöglich, sich dem Gefühl der ausweglosen Schwere des Lebens dieser Frauen zu entziehen. Der kaum erträglichen Herausforderungen Tochter zu sein, schwanger zu sein, Mutter zu sein, alt zu werden.
SAINT OMER wurde vielfach ausgezeichnet. Der Film erhielt bei seiner Premiere in Venedig den silbernen Löwen – großer Preis der Jury. Er wurde als französischer Beitrag 2022 für den Oscar vorgeschlagen.